BUND Landesverband
Baden-Württemberg

Waldwirtschaft: „Kluge Planung zahlt sich langfristig aus“

28. Mai 2024 | Kommunalpolitik (BW), Wälder, Umweltpolitik (BW), BUND Baden-Württemberg (BW), Klimaschutz (BW), Lebensräume, Biotopverbund (BW)

BUND-Interviewreihe zur Kommunalwahl 2024: Nachhaltige Waldwirtschaft in den Kommunen Baden-Württembergs

Dr. Andrea Lehning, Referentin für Wildkatze und Wald  (Dominic Hahn / BUND BW)

Am 9. Juni 2024 ist Kommunalwahl. Sie ist entscheidend für den Umwelt- und Naturschutz. Die gewählten Vertreter*innen können in den kommenden fünf Jahren viele Weichen stellen – auch für eine nachhaltige Waldwirtschaft. Denn ein großer Teil der Waldflächen ist im Besitz der 1.101 Gemeinden im Land. Damit tragen sie viel Verantwortung für die Zukunft unserer Wälder betont Dr. Andrea Lehning, Referentin für Wildkatze und Wald des BUND Baden-Württemberg. Ein Gespräch über den Lebensraum Wald und welche Bedeutung die Kommunalwahl für dessen Erhalt hat:

Förster*innen arbeiten täglich im Wald und damit vermeintlich aktiv für die Natur. Warum sollten sich Kommunen damit beschäftigen?

Dr. Andrea Lehning: In der Forstwirtschaft steckt das Wort „Wirtschaft“. Holz als Rohstoff zu gewinnen, ist dabei ein wichtiger Aspekt. Die anderen, so genannten „Systemleistungen“ des Waldes, z.B. als Lebensraum für Tiere und Pflanzen, werden zu wenig berücksichtigt.

An den Wald werden zudem viele unterschiedliche Ansprüche gestellt, die in einen zukunftsfähigen Ausgleich gebracht werden müssen. Kommunale Wälder sind öffentliche Räume: Bürger*innen sollten deshalb bei der Planung mitgenommen werden. Sie haben ein Interesse daran, den Wald in der Freizeit zu genießen, sei es bei einem Waldspaziergang – der auch einen gesundheitlichen Nutzen hat! – oder als kühlen Ort in den immer heißeren Sommern. Der Wald ist außerdem wichtig als Wasserspeicher bei starken Regenfällen oder bei Trockenheit. An all diesen Punkten sind die Kommunen als Waldbesitzer in der Verantwortung.

Was versteht man unter nachhaltiger Waldbewirtschaftung?

Das bedeutet, dass man nur so viel Holz aus dem Wald entnimmt wie nachwächst. Inzwischen ist klar, dass das bloße Aufrechnen von Zuwachs und Entnahme nicht mehr ausreicht. Es kommt darauf an, dass die Waldlebensräume und -funktionen erhalten bleiben. Holz kann also genutzt werden, wenn die Lebensräume bestehen bleiben und es ein Gleichgewicht zwischen Nutzung und Regeneration gibt.

Welche Bedeutung kommt den Kommunen dabei zu?

Stadt- und Gemeinderäte können Beschlüsse fassen, um beispielsweise mehr Totholz im Wald zu belassen, bestimmte Flächen aus der forstwirtschaftlichen Nutzung zu nehmen, weniger Holz zu entnehmen oder keine Fichten mehr zu pflanzen, die klimatisch inzwischen nur noch in Hochlagen gut überleben. Alle zehn Jahre können sie außerdem über die sogenannten Forsteinrichtungspläne die langfristige Richtung für die Waldwirtschaft vorgeben. Einzelne Kommunen wie Singen setzen dabei auch auf Bürgerbeteiligung oder es gibt wie in Freiburg eine Begehung des Waldes vorab, bei der verschiedene Aspekte zum Zustand und der Zukunftsfähigkeit begutachtet werden. Eine kluge Planung für mehr Nachhaltigkeit zahlt sich dabei langfristig aus.

Muss der Wald nicht bewirtschaftet werden, um ihn gesund zu halten – etwa zum Bekämpfen von Schädlingen?

Diese Schädlinge gibt es vor allem in ungesunden Monokulturen. Ein Befall kann einen großen wirtschaftlichen Schaden verursachen, denn Schadholz bringt weniger Gewinn. Die Eingriffe sind also vor allem ein wirtschaftlicher Faktor. Aus Sicht des Naturschutzes plädieren wir dafür, die Natur das selbst regeln zu lassen. Denn in der Klimakrise sind Mischwälder mit unterschiedlichen Baumarten in verschiedenen Lebensstadien stabiler. Tote Bäume sorgen beim Zerfallen für einen kompletten Lebenszyklus im Wald und mehr Biodiversität. Es entsteht Platz und Licht für neue Bäume sowie Lebensraum und Nahrung für Tiere. Das hilft den Wald gesund zu halten.

Für viele Menschen ist der Wald ein wichtiger Erholungsraum. Wie lässt sich das mit den Zielen des Naturschutzes vereinbaren?

Indem alle aufeinander Rücksicht nehmen. Der Wald ist Lebensraum für Wildtiere und Pflanzen, zum Teil auch sehr seltenen. Es gibt in unseren Wäldern bereits ein großes Wegesystem, das Menschen nutzen können. Tiere können sich darauf einstellen und sich zurückziehen, wenn sie die Möglichkeit haben. Kommunen sollten diese Wegeinfrastruktur klug anlegen und auch an die Freizeitnutzung anpassen. Sie können viel genutzte Wege attraktiver machen und wenig genutzte schließen, um Rückzugsräume zu schaffen.

 

Hintergrund: Waldflächen, Waldbesitzende und Schutzgebiete

In ganz Deutschland sollten bis 2020 eigentlich fünf Prozent der gesamten Waldfläche oder zehn Prozent der öffentlichen Waldflächen sich selbst überlassen werden, um sich natürlich zu entwickeln. Dieses Ziel hat die Bundesregierung 2007 in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt definiert. Erreicht wurden allerdings nur rund drei Prozent. Baden-Württemberg ist zumindest bei den staatlichen Waldflächen auf einem guten Weg und hat das Ziel von zehn Prozent dort fast erreicht. Jedoch gehört nur rund ein Viertel der Waldflächen im Land dem Staat. 40 Prozent sind in kommunalem Besitz. Rund 36 Prozent gehören Privatleuten. Um naturnahe Wälder zu entwickeln, braucht es die Unterstützung von kommunalen und privaten Waldbesitzern. Denn insgesamt sind noch nicht einmal ein Prozent der Wälder im Land sogenannte Prozessschutzflächen. Dazu zählen Bannwälder, die komplett sich selbst überlassen werden, sowie die Kernzonen von Großschutzgebieten wie der Biosphärengebiete Schwäbische Alb und Schwarzwald sowie des Nationalparks Schwarzwald.

 

Kontakt für Rückfragen:

  • Dr. Andrea Lehning, Referentin für Wildkatze und Wald beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg e.V., andrea.lehning(at)bund.net, 0711 620306-31
  • Ansprechpartner in Ihrer Region: Wir vermitteln gerne Ansprechpartner, die sich speziell zur nachhaltigen Waldwirtschaft in Ihrer Region äußern können.

 

Mehr Informationen:

  • Ein Pressebild von Dr. Andrea Lehning finden Sie hier. Das Bild kann unter Angabe des Fotografen (Dominic Hahn/BUND BW) im Zusammenhang mit der Berichterstattung kostenlos verwendet werden.
  • Webseite des BUND Baden-Württemberg zu Wäldern
  • Webseite des BUND Baden-Württemberg zur Kommunalwahl

 

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